2018
nach dem Roman von Vladimir Nabokov. Fassung von Oliver Thomas. Rottstr 5 Theater Bochum.
"Versprich mir, dass du mich nie verlässt. Und dass ich nie in eine Anstalt für kriminelle Mädchen komme!"
Nabokovs umstrittener Roman von 1955. Nach dem Tod ihrer Mutter begibt sich die minderjährige Lolita auf einen Roadtrip mit ihrem Stiefvater Humbert. Sie beginnen eine fatale Beziehung zwischen Liebe, sexueller Abhängigkeit und dem großen Wunsch nicht allein zu sein.
In einer Fassung von Oliver Thomas
Regie und Ausstattung: Alexander Ritter.
Videoprojektionen: Alexander Ritter.
Mit: Yvonne Forster und Jost Grix.
PRESSE
LOLITA, der wohl berühmteste Roman des russisch-amerikanischen Schriftstellers Vladimir Nabokov [...], lässt sich nur schwer für Film oder Bühne adaptieren. Wie das dennoch gelingen kann, zeigt derzeit das Rottstr5-Theater.
Die Inszenierung ist ein für den Zuschauer regelrecht schmerzhafter Blick in die Seele des Pädosexuellen Humbert Humbert. [...]
Durch atmosphärische Video- und Musikzuspielungen gelingt Regisseur Alexander Ritter ein verstörender Trip in eine Welt, in der sich die Maßstäbe immer weiter verschieben.
(Stadtspiegel)
"Ritter leuchtete die Psychologie der Figuren aus. Jost Grix, in der Rolle des eigenbrötlerischen Literaturprofessors Humbert: Das ständige Mitschwingen der Psychose bringt Grix mit fast minimalen Mitteln auf die Bühne. Bebend sucht er, seine Leidenschaft zu zügeln, bricht nur einige wenige Male aus. Die Lolita gibt Forster als echten Wildfang: barfuß und mit offenen Haaren. Das psychologische Spiel zwischen der absoluten Abhängigkeit und dem Willen zur Freiheit zeigt sie verstörend gut. Der Traurigkeit ihrer Situation verleiht sie im Live-Gesang wunderschön Ausdruck. Hier darf die Figur, die sonst eher klischeehaft und kapriziös dargestellt wird, Tiefe zeigen. Wunderbar exerzieren beide Schauspieler die Stille - lassen so die Sackgasse aufleuchten, in der beide stecken, aber ebenso ihre Zuneigung.
(WAZ)
"Politisch brisante und brillant gespielte "Lolita" am Rottstr5Theater in Bochum. [...]
Die Handlung wird immer wieder von Gesangseinlagen Lolitas unterbrochen, bei denen Forster ihre Musical-Ausbildung zugutekommt. Besonders rührend ist die Interpretation des Songs "Lost Boy", der das Gefühl von Heimatlosigkeit und die Flucht vor der Realität thematisiert. [...]
Jost Grix liefert eine beeindruckende Darstellung des pädophilen Humbert, der sich der Unrechtmäßigkeit seines Begehrens und Handelns zwar bewusst ist, für sein Verlangen jedoch trotzdem Entschuldigen sucht und Lolita gewissenlos manipuliert, um mit ihr zusammen sein zu können. [...] Grix schafft in seiner Interpretation der Rolle den Spagat zwischen dem sympathischen College-Professor und dem widerlichen Pädophilen, dessen Berührungen nicht nur bei Lolita für Unbehagen sorgen. Ist man anfangs noch berührt von Humberts Beichte und des Eingeständnisses verbotener Gedanken, wandelt sich dieses Gefühl zunehmend in Abscheu und Beklommenheit.
Das Bühnenbild ist schlicht gehalten, ein Bett, ein Kühlschrank, Tisch und Stuhl und ein Kassettenrekorder sind die einzigen Requisiten. Ein kleines Zimmer, in dem sich ein ganzes Leben ereignet und das die emotionale und physische Gefangenschaft Lolitas perfekt widerspiegelt. Die Reise, die das Paar unternimmt wird in Form von Bildern fahrender Autos und nächtlicher erleuchteter Straßen an die Wand projiziert. Es ist ein Trugbild, wie die Beziehung zwischen Humbert und Lolita, die in der Realität nicht existieren darf und letztlich an derselben scheitert.
Ritter räumt in seiner neunzigminütigen Inszenierung, mit dem Vorurteil der Lolita als männerverführendes, frühreifes junges Mädchen auf und macht deutlich, wie die Machtverhältnisse sich wirklich darstellen. Humbert manipuliert und kontrolliert Lolita, die sich schließlich der einzigen Waffe bedient, die ihr bleibt: der Entzug der körperlichen Liebe, um sich wenigstens kleine Freiheiten zu erkämpfen. Am Ende sieht sie sich mit den Scherben ihrer Existenz konfrontiert und es ist wohl symptomatisch, dass sie dafür sich selbst die Schuld gibt.
(Herner Sonntagsnachrichten)
"An der Rottstr5 verdichtet Alexander Ritter den Skandal-Stoff zu einem düsteren Kammerspiel. Vladimir Nabokovs vielschichtige wie umstrittene Vorlage wird auf ein 90-minütiges Kammerspiel skelettiert. Es bleiben die Schlüsseldialoge und die wesentliche Handlung.
Die Variationen der Lolita-Figur werden nur kurz an die Wand projiziert. Genauso wie die nächtlichen Städte und Straßen, die im Road Novel durchstreift werden. Jost Grix gibt einen Humbert, der verkrampft an der Bettkante kauert, als Kontrollfanatiker explodiert oder wieder in die Rolle des zynisch-distanzierten Ich-Erzählers schlüpft.
Drinnen regiert Humberts Trauma: Yvonne Forsters Lolita streift sich zu den Klängen einer pop-polierten "Mr. Sandman"-Version die Kleidung von Humberts verstorbenen Jugendgeliebten über. Den nächsten Popsong - "Lost Boy" von Ruth B. - haucht sie selbst ins Mikro: Verse, die das Peter-Pan-Motiv des Widerstands an die Adoleszenz aufgreifen und Humberts Trauma wie Perversion kommentieren. Denn diese werden in Ritters Inszenierung verdichtet: eine düstere Auslotung einer kaputten Seele.
(BSZ)
LOLITA - Komplettmitschnitt (PW)
Fotos: Thorsten Schnorrbusch / Birgit Hupfeld / Maren Leerhoff.